Einen erneuten Volltreffer bei ihrem Turngauangebot für Übungsleiterinnen und Trainer verzeichnete Marita Freudenstein, im Turngau Vorsitzende des Fachbereiches Aus- und Fortbildung, mit Genugtuung. Auch bei der zweiten Fortbildung in diesem Jahr zeigten sich die 22 Teilnehmerinnen und drei Teilnehmer von dem vermittelten Lehrstoff sehr angetan. Wie schon bei vorausgegangenen Fortbildungen war die Referentin Sigrid Wellershaus (Fuldabrück) erneut Garantin für neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, die sie sehr geschickt in Theorie und Praxis zu vermitteln verstand. Das alles in einer lockeren und humorvollen Atmosphäre. Gleich zu Beginn der Fortbildung erläuterte Wellershaus den Terminus „Faszien“ und erläuterte deren Aufbau eines ganzheitlichen Faszientrainings, mit Pilates verbunden.
Faszienaufbau
Das faserige Bindegewebe (Faszie) besteht im Wesentlichen aus Kollagen- und wenigen Elastinfasern, welche in eine Grundsubstanz aus Wasser und Zucker-Eiweiß-Verbindungen eingebettet sind. Dieses Netzwerk durchzieht den Körper in alle Richtungen. Fasern sowie die meisten Bestandteile der Grundsubstanz werden von den Bindegewebszellen, (Fibroblasten) hergestellt und aufrechterhalten, welche jedoch selbst nur einen sehr geringen Anteil des Volumens ausmachen.
Eine Besonderheit der Faszien ist, so die Referentin, deren enorme architektonische Anpassungsfähigkeit an wiederkehrende herausfordernde Zugbelastungen. Je nach Belastung wird das Bindegewebe zunehmend fester. Die Faserrichtung passt sich hierbei den dominanten Zugrichtungen an. So bildet sich der kräftige Tractus iliotibialis als kräftige Sehnenplatte an der Außenseite des menschlichen Oberschenkels erst durch die Einbeinbelastung beim Gehen und Rennen, während er bei Kindern im Krabbelalter oder bei Rollstuhlfahrern nicht erkennbar ist. Umgekehrt findet sich bei Reitern, die täglich mehrere Stunden auf dem Pferderücken verbringen, eine deutliche Verfestigung der faszialen Strukturen an den Oberschenkelinnenseiten.[6]
Das Fasziengewebe jüngerer Menschen weist in umhüllenden Faszien häufig eine scherengitterartige, bidirektionale Netzstruktur auf, während bei älteren Personen eine multidirektionale bzw. ungerichtete Faserstruktur, ähnlich einem Filzgewebe, vorherrscht. Bei den einzelnen Kollagenfasern zeigt sich bei jüngeren Personen eine deutlich ausgeprägte Wellenstruktur. Beide Eigenschaften – die bidirektionale Ausrichtung und die Wellenstruktur – gehen bei Bewegungsmangel sowie mit zunehmendem Alter verloren.[7]
Im Fasziengewebe bilden sich dann zunehmend ungeordnete, planlose Querverbindungen. Das Fasernetz verliert somit seine Elastizität und es bilden sich Verklebungen und Verfilzungen. Wissenschaftliche Studien konnten die Annahme bestätigen, dass adäquate sportliche Belastungen einen Umbau der faszialen Architektur in Richtung auf eine vermehrte Wellenstruktur bewirken sowie auch eine erhöhte elastische Speicherkapazität und auf eine verbesserte Zugfestigkeit.[8]
Ein wichtiger Hintergrund zur Entwicklung des Faszientrainings ist die Erkenntnis, dass die überwiegende Mehrheit der Überlastungsschäden im Sportbereich nicht die Muskelfasern, Knochen, Bandscheiben oder kardiovaskulären Strukturen betreffen, sondern auf ein Versagen des faserigen, kollagenen Bindegewebes des Bewegungsapparates zurückzuführen sind.[2] Selbst die sogenannten Muskelfaserrisse treten fast nie innerhalb der roten Muskelfasern auf, sondern in deren weißlich kollagenen Faserverlängerungen.
Aufbauend auf dem davyschen Gesetz wird im Faszientraining angenommen, dass sich die Architektur der faszialen Gewebe auf wiederkehrende und adäquat dosierte Belastungsreize so anpasst, dass sie diesen Herausforderungen zukünftig noch besser gewachsen ist.[3] Voraussetzung hierfür scheint das Überschreiten eines bestimmten Schwellwertes – hier für Dehnbelastungen – zu sein. Während beispielsweise bereits moderate Belastungen ausreichen, um langfristiges Wachstum der Muskelfasern zu fördern, sind wesentlich höhere Belastungen nötig, damit die mit den Muskeln verbundenen Sehnen und Sehnenplatten gekräftigt werden.[4] Aus diesen und anderen Forschungsbefunden wird von den Protagonisten die Schlussfolgerung gezogen, dass bei einem üblichen Muskelkräftigungs- oder Herz-Kreislauf-Training nicht garantiert ist, dass damit auch die faszialen Gewebe optimal trainiert werden beziehungsweise, dass ein optimales Faszientraining anderer Belastungsreize bedarf, als es bei diesen beiden konventionellen Trainingsarten üblicherweise der Fall ist.[5]
Sigrid Wellershaus gab dann einen Einblick in das Konzept der Faszienleitbahnen. In der Praxis griffen dann die Teilnehmer nach Kleingeräten und übten mit den extra dafür entwickelten FASZIO-Bällen. Weitere Kleingeräte schlossen sich an. Wellershaus benannte als Zielgruppe für ein Ganzheitliches Faszientraining Übungsleiter, Trainer und Sportfachkräfte aus Fitness, Workout, Yoga, Pilates, Outdoor, Personaltraining, Gesundheitssport und Body&Mind sowie Kinder- und Jugendsport und Interessierte mit Pilates-Kenntnissen.
Auch wenn die vorgegebenen Übungen eigentlich recht einfach waren und den trainierten Übungsleiterinnen und -leitern anfangs sehr leicht erschienen, merkten sie spätestens ab der vierten Ausbildungsstunde, dass die körperlichen Anforderungen recht hoch waren. Zum Ende der Fortbildung waren alle Teilnehmer glücklich über die beim Lehrgang gemachten Erfahrungen und neuen Erkenntnissen. Die sollen in den Vereinen adäquat umgesetzt werden. Ein herzliches Dankeschön für die tolle Fortbildung kam von allen Teilnehmern und galt gleichermaßen der Referentin Sigrid Wellershaus und der Ausrichterin Marita Freudenstein. Die nächste Übungsleiterfortbildung Gesundheit und Senioren startet am Samstag, 14. September 2019 von 10:00 Uhr bis 17:00 Uhr in der Sporthalle von der 15 Kilometer östlich von Kassel gelegenen Ortschaft Nieste. Das Thema dieser Fortbildung „Standfest und stabil in der zweiten Lebenshälfte“.
Volker Hennig